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New York Phone Booth Sophie Calle (1998)

Forscherin der Züfalligkeit

 

In den Dingen des Alltagslebens steckt eine spezielle Kraft. Man muss sie nur mit Geduld anschauen, um sie zu sehen und zu merken, dass sie da ist.

 

Sophie Calle ist eine eigenwillige Künstlerin, die eine sehr charakteristische Art hat, das Leben von Meschen zu erzählen, indem sie Fiktionen in der Realität sucht und mit einer starken Vorstellungskraft Fremdwelten erfindet. Ihre Werke sind Fotos, Performances und Texte, die Identität und Intimität darstellen. Indem sie auch Elemente ihres eigenen Lebens veröffentlicht, bricht sie in ihren Werken mit dem Tabu der Privatsphäre. Sie wurde Detektivin und Voyeurin genannt, und was an ihren Werken am meisten auffällt, ist ihre natürliche Neugier und ihre Fähigkeit intime Grenzen gewaltfrei zu überschreiten.

 

Ihre Karriere als Künstlerin entstand quasi per Zufall. Calle hat keine Ausbildung, anstatt zu studieren brach sie zu einer achtjärige Reise auf. Als sie 1980 nach Paris zurückkehrte, fühlte sie sich verloren in ihrem eigenen Land. Sie wusste nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte, bis sie auf die Idee kam, andere Leute und ihr Leben in Paris zu beobachten. Ihr künstlerisches Werk entwickelte sich aus Aktionen, die sie am Anfang als Ritual und nicht als Kunst betrachtete. Nachdem sie verkleidet Leuten gefolgt war und diese fotografiert hatte, begann sie mit ihrem Projekt "les dormeurs" (1980).

 

Innenansicht ihres Werkes

 

Die Idee entstand, als eines Abends eine Freundin nach einen langen Arbeitstag bei ihr nach einem Platz zum Schlafen fragte. Sie begann, unbekannte Leute anzusprechen und sie nach einigen Fragen einzuladen, acht Stunden bei ihr zu schlafen, während sie sie jede Stunde fotografieren würde, um ihre Schlafausdrücke zu erforschen. Sie wollte nur einen neutralen Kontakt herstellen, nur beobachten. Mit dieser Fotoserie und der Hilfe eines Kunstkritikers, der das Projekt über seine Frau, eine der "SchläferInnen", kennengelernt hatte, nahm sie an der Biennale für junge Künstler teil.

 

Calle spielt auch mit der Dualität, in der sie selbst Autorin und Hauptdarstellerin bewegt. Manchmal sucht sie sich AutorInnen, die für sie schreiben. So schrieb Paul Auster für Calle Anleitungen, die er "Personal Instructions for S.C. on How to Improve Life in New York City (Because she asked...)" nannte. Es handelte sich um ein Projekt zur Humanisierung des Lebens auf der Straße: Fremde anlächeln und ihnen Zigaretten und Essen anbieten sowie sich ein Objekt der Stadt eigen zu machen - Calle verwandelte eine Telefonzelle in eine Art Wohnzimmer. Die Künstlerin führte ein fotografisches und schriftliches Tagebuch über diese Aktion: die sinnlosen Konversationen zwischen Unbekannten, die Anzahl von Lächeln, Broten und Zigaretten, die sie ausgibt und die abgelehnt wurden. In Austers späteren Roman "Leviathan" wurden diese Aufzeichnungen eingearbeitet. Leviathan wiederum verwandelte sich in die Grundlage für Calles Werk "Double Game", das sie fünf Jahre später entwickelte.

 

Rollentausch als Konzeptkunst

 

Sophie Calles Werk ist konzeptuelle Kunst - in Zeiten der Krise des ästhetischen Werkes. Wie zum Beispiel ihr Werk "The Detective": Calle bat ihre Mutter, einen Privatdetektiv zu engagieren, der ihr folgte und vertauschte dabei die Rollen, weil der Detektiv nicht wusste, dass sie über die Beobachtung informiert war. Die Fotoserie entspricht sicher keine ästhetischen Prämisse, gehört aber trotzdem zu einem Gesamtwerk, dessen konzeptuellen Elemente auf Reflexion und Kommunikation zielen. Die Zuschauerin ist Teil des Werkes. Sie ist der Decoder und Voyeurin, die durch Calles Linse schaut.

 

Sophie Calle urteilt nicht über Realität, sondern dokumentiert sie. Sie will in ihrer Arbeit nicht das reale, intime Leben erzählen. Ihr Ziel ist es, ein persönliches spielerisches Ritual zu entwickeln, an dem die Zuschauerin als aktiver Teil des Gesamtwerkes teilnehmen kann, um die Gelegenheit zu nutzen, die Welt aus einer anderen Perspektive zu beobachte, wo Zeit und Detail die Hauptrollen spielen.

 

 

 

 

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